Hütte, Ticket, Titel: Nagelsmann zündet nächste WM-Stufe
Veröffentlicht: Mittwoch, 03.09.2025 12:13

Nationalmannschaft
Herzogenaurach/Bratislava (dpa) - Hochkonzentriert lauschte Julian Nagelsmann den Worten des wild gestikulierenden Rudi Völler. Dann schickte der Bundestrainer seinen Kapitän Joshua Kimmich als Anführer noch vor der Abreise in die Slowakei zur letzten Trainingseinheit vor dem Start in die WM-Qualifikation auf den Übungsplatz.
Jetzt zählt es auch für Nagelsmann. Nach einer Strategie- und Taktik-Klausur mit seinen engsten Vertrauten in einer schicken «Hütte» in den Allgäuer Bergen und wochenlangen Sommer-Diskussionen um die Titel-Tauglichkeit des deutschen Fußballs will der 38-Jährige etwas beweisen: Der goldene WM-Pokal ist eben doch ein realistisches und kein überhebliches Ziel.
«Ich finde, das Ziel auszurufen, dass sie Weltmeister werden wollen, ist jetzt nicht arrogant oder nicht demütig genug. Sondern ich glaube, das ist ganz normal», sagte er vor der ersten Partie auf dem Weg zur WM 2026 in Amerika. Mit dem kniffligen Auswärtsspiel am Donnerstag (20.45 Uhr/ARD) in der Slowakei geht der große Traum los.
«Dominanz» als Schlagwort
Die Bitterkeit nach dem EM-Aus gegen Spanien 2024 und den Frust über den letzten Platz beim Final Four der Nations League in diesem Sommer will Nagelsmann in eine positive Denkweise transferieren. Sein aktuelles Lieblingswort dabei lautet «Dominanz». Die soll sein Team auch in den sechs Spielen der kurzen Ausscheidungsrunde gegen die Slowakei, Nordirland und Luxemburg trotz vieler personeller Ausfälle demonstrieren.
«Ich habe schon den Anspruch, dass wir da mit einer guten Dominanz durchgehen», sagte Nagelsmann. Dominanz bedeutet für ihn dabei nicht, dass alle Spiele vom Ergebnis her klar gewonnen werden. Aber die Art und Weise soll dominant sein, «dass wir keine Zweifel innerhalb der Spiele lassen», sagte er.
Genau das war die Krux beim 3:3 gegen Italien im März und dem 1:2 gegen Portugal im Juni, als Siege gegen mögliche Titelkonkurrenten hergeschenkt wurden. Der letzte Eindruck führte zu Ernüchterung. 318 Tage vor dem WM-Finale vor den Toren New Yorks wirken andere Teams viel reifer und stabiler.
Nagelsmann kein Neuling mehr
Für Nagelsmann steht einiges auf dem Spiel. Mit seiner selbstbewussten Art hat er die Messlatte auch für sich selbst hochgelegt. Er ist in seinem dritten Jahr kein Neuling mehr als Bundestrainer. Er ist schon jetzt länger im Job als sein Vorgänger Hansi Flick. Auch Sommermärchen-Trainer Jürgen Klinsmann hat er nach zwei Jahren Amtszeit überholt.
Die Punktebilanz ist allerdings im Vergleich zu vielen Vorgängern bescheiden. 1,83 Zähler als Schnitt nach 23 Spielen reichen nur für Platz zehn unter den bisher zwölf Bundestrainern. Die Bilanz nach K.o.-Spielen ist sogar negativ: Zwei Siege, ein Remis und drei Niederlagen stehen hier nach EM und Nations League zu Buche. Dem Ehrgeiz des 38-Jährigen genügt dies nicht.
Auch in der WM-Saison immer eng an Nagelsmanns Seite ist Völler. Und der Sportdirektor macht seinen Job als Optimismus-Treiber. «Jetzt schon in der Qualifikation wird die Mannschaft wieder hochkonzentriert sein», versprach er.
Nagelsmann hat die Notwendigkeit einer taktischen Anpassung erkannt. Königspersonalie ist die von Kimmich, der vom Posten als rechter Außenverteidiger wieder ins defensive Mittelfeld vorgezogen wird. Das Zentrum stärken ist eine Leitlinie. Zu einfach konnten Top-Gegner dort das deutsche Spiel verletzen.
Aus den sich daraus ableitenden Veränderungen in der generellen Statik und auf der defensiven rechten Außenbahn macht Nagelsmann noch ein Geheimnis. Ein bisschen Arbeit wolle er den gegnerischen Scouts lassen, merkte er süffisant an.
Große Rolle für Collins?
Wahrscheinlich ist ein fluides System mit einem defensiv ausgerichteten Außenverteidiger, der bei Bedarf in einer Dreierkette mit den Fixgrößen Jonathan Tah und Antonio Rüdiger zurückfällt. Prädestiniert für die Rolle scheint Debütant Namdi Collins von Eintracht Frankfurt. Doch traut der Bundestrainer dem U21-Vizeeuropameister den Posten schon zu?
Und wen stellt Nagelsmann seinem Kapitän Kimmich im Zentrum zur Seite? Angelo Stiller, Leon Goretzka - oder gar beide? Beim Training in Herzogenaurach gab es einen gedanklichen Flashback zur WM in Katar.
Der damalige Bundestrainer Flick sprach vor dem ersten Spiel mit Kimmich, Goretzka und Ilkay Gündogan beim Training am Mittelkreis. Goretzka erfuhr, dass er nicht spielen werde. Alle drei Spieler trotteten in verschiedene Richtungen davon - Deutschland verlor gegen Japan. Diesmal liefen Kimmich, Stiller und Goretzka lächelnd in eine Richtung. Ein Zeichen?
Flexibel muss Nagelsmann ohnehin bleiben. Eine konsequente Rollenverteilung wie vor der Heim-EM ist noch gar nicht möglich. In Jamal Musiala, Marc-André ter Stegen, Kai Havertz, Nico Schlotterbeck und Tim Kleindienst fehlt fast eine halbe Mannschaft sicherer oder potenzieller Startelf-Kandidaten teilweise für die komplette Qualifikationsrunde.
Bis November muss sich eine andere Hierarchie bilden und bewähren. «Bei einem Turnier ist alles immer anders. Das Wichtigste ist, dass wir uns qualifizieren», beschrieb Serge Gnabry die anstehende Aufgabe.
Wirkliche Zweifel an Platz eins und dem direkten WM-Ticket gibt es ohnehin nicht. Zumal Deutschland Quali-Weltmeister ist. In der langen Historie gingen von 104 Partien nur drei verloren. Auswärts ist die DFB-Elf auf dem Weg zu WM-Endrunden sogar noch ungeschlagen. Daran soll sich auch im Nationalstadion von Bratislava nichts ändern.
